Hanseator

Musik & Fußball

Zu Gast bei „Feinden“ Vol. 2

Hinterlasse einen Kommentar

RB Leipzig – FC St. Pauli 0:1, 23. August 2015, Zentralstadion, 2. Liga

Vierter Spieltag in Liga 3: der F.C. Hansa siegt 1:0 in Osnabrück, und während die Hansaspieler vor und mit dem Gästeblock den Sieg feiern, klingen (inzwischen Ex-)VfL-Trainer Walpurgis wahrscheinlich seine nach dem letzten Spiel beider Vereine im Frühjahr (1:0 für OS) leichtfertig dahingesagten Worte „… weil die Duelle gegen Rostock auch immer Spaß machen …“ in den Ohren. Läuft bei uns. Der Haken an der Sache: Ich bin diesmal leider nicht im Stadion an der Bremer Brücke dabei. Oma feiert in Altenburg ihren 95. Geburtstag, das geht natürlich vor. Ganz ohne Fußball geht es aber auch nicht, und so hatte ich mir schon langfristig ein Ersatzspiel ausgewählt, das zu besuchen mir meine tolerante Familie freundlicherweise gestattete.

Die Wahl ist auf das Spitzenspiel am 4. Spieltag der 2. Liga gefallen: Im Leipziger Zentralstadion trifft Gastgeber „RasenBallsport“ am Sonntag auf den FC St. Pauli – eine Partie, die sowohl auf dem Platz als auch daneben einiges Potenzial in sich birgt. Es knistert schon im Vorfeld gewaltig, das von zahlreichen Qualitätsmedien nach mehreren Monaten endlich bemerkte Weglassen des RB-Logos beim Internet-Auftritt der Hamburger wird in der Vorschau der Leipziger Volkszeitung am Vortag des Spieles perfide durch Schilderung angeblicher Massenverbrüderungsszenen auf den Rängen am Millerntor beim letzten Duell gekontert. RB-Intimreporter Guido Schäfer setzt aber noch einen drauf, denn in seinem Text ist – wie übrigens auch im montäglichen Spielbericht – immer nur von „Pauli“, also ohne „St.“, die Rede. Erstaunlich, wie subtil so ein Haus- und Hofjournalist mitunter sein kann.

Ich verfolge das Spiel im Gästeblock, soviel Abenteuer gönne ich mir dann doch, wenn ich schon nicht zu Hansa kann. Es wird eine interessante Erfahrung, soviel kann ich schon mal vorwegnehmen. Die Karte besorgt ein mir seit ein paar Jahren bekannter Blogger-Kollege von „drüben“. Wir treffen uns etwas mehr als eine Stunde vor dem Anstoß am Gästeeinlass. Selbiger wird von einem martialischen Polizeiaufgebot beobachtet, auch ein Wasserwerfer zieht in den umliegenden Straßen einsam seine Kreise. Gebraucht wird das alles irgendwie nicht, sowohl vor als auch nach dem Spiel geht es überaus entspannt rund ums Stadion zu.

Wir lassen uns nach anstrengendem Treppauf-Treppab (nicht zu fassen, dass ich vor fast vierzig Jahren auf diesen Stufen mal Steigerungsläufe trainiert habe) auf dem unteren Oberrang links nieder, da ist die Sicht gut – sowohl auf den Platz als auch auf das Zentrum der Gästekurve. Ganz mittendrin muss ich ja nun wirklich nicht stehen, so groß ist die Abenteuerlust dann auch nicht. „Du bist also der Rostocker?“ werde ich nicht gerade leise begrüßt – an der Konspiration müssen wir offensichtlich noch ein bisschen arbeiten. Im allgemeinen Grundlärm geht das jedoch unter, ich bleibe unerkannt und muss keinen der vorsorglich ausgecheckten Fluchtwege in Anspruch nehmen.

Wenn ich sage „Grundlärm“, liegt die Betonung hier tatsächlich auf Lärm. Dieser ist allerdings rein musikalischer Natur, es gibt tatsächlich keine Werbung. Andererseits hätte es durchaus etwas unfreiwillige Komik, eine Werbeveranstaltung auch noch mit Werbung zu unterbrechen. Nein – Spaß beiseite, Werbedurchsagen, wie ich sie ja leider auch im Ostseestadion erdulden muss, wenn ich zu früh da bin, hat RB nicht nötig. Schön für sie. Die Präsentation der RB-Startaufstellung „entschädigt“ dafür allerdings, dafür hatte ich mich ja beim Hansa-Gastspiel 2013 schon einmal begeistern können.

Während sich in den Katakomben die Spieler bereitmachen, erscheint Ewald Lienen vorm Gästeblock, um mit kämpferischer Gestik und Mimik die Richtung für die nächsten 90 Minuten auf den Rängen vorzugeben. Ich denke gern an seine Zeit bei Hansa zurück, die sportlich nicht zu den schlechtesten gehörte. Er ist sicher nicht einfach im Umgang, gerade mit Medienvertretern, hatte aber auch bei uns ein sehr gutes Standing, gerade aufgrund seiner Ehrlichkeit, Authentizität und seines geradezu fanatischen Gerechtigkeitssinns. Insofern freue ich mich für ihn persönlich über die sportliche Entwicklung der von ihm betreuten Mannschaft.

Zum Einlaufen der Mannschaften wird auf der Heim-Hintertortribüne eine Choreo präsentiert, zwischen in Rot und Silber glänzenden Fähnchen erscheint eine Figur, die (für mich) ein bisschen aussieht wie Gollum nach einer Überdosis Roter Brause, der unterm Block zu lesende Spruch macht dann aber klar, dass es sich um Meister Yoda handelt. Kann man machen.

Nach Händeschütteln und Platzwahl folgt eine Gedenkminute für den letzte Woche verstorbenen ehemaligen DFB-Präsidenten Meyer-Vorfelder. Der Gästeblock beteiligt sich nicht am Schweigen für den (vorsichtig formuliert) durchaus umstrittenen Funktionär. Ich bin da etwas zwiegespalten, persönlich konnte ich dem fußballerischen und politischen Wirken des Verblichenen nur wenig Positives abgewinnen, halte es aber selbst so, einen gewissen Respekt gegenüber dem Tod zu zeigen. Andererseits konnte auch „MV“ ganz gut austeilen, und gehört hat er es ja doch nicht mehr. Schwierig.

Nachdem das überstanden ist, geht es um den Sport. Die Gastgeber erwischen einen recht guten Start und erspielen sich Torchancen, ein Ball landet am Pfosten, die RB-Führung scheint nur eine Frage der Zeit (und später vielleicht der Höhe) zu sein. Ab Mitte der ersten Halbzeit findet St. Pauli dann besser ins Spiel und kommt seinerseits zu Tormöglichkeiten. Kurz vor der Pause gelingt das zu diesem Zeitpunkt nicht mal unverdiente 0:1. Diesem Rückstand wird RB bis zum Abpfiff, einschließlich etwas merkwürdiger 5 Minuten Nachspielzeit, vergeblich hinterherlaufen. Da hilft den Gastgebern auch ehemals hanseatische Fußballkunst in Person von Tim Sebastian (defensiv solide, aber inzwischen doch relativ langsam, zur Pause verletzt ausgewechselt) und Nils Quaschner (darf ab der 85. Minute ran, ohne nennenswerte Akzente zu setzen) nichts. Bester Rostocker auf dem Platz ist Schiedsrichter Bastian Dankert, der (mich, ich bin aber auch relativ „neutral“) mit einer soliden, unauffälligen Spielleitung überzeugt.

Einen ordentlichen Auftritt von der ersten bis zur letzten Minute legt der Gästeblock hin. 4000 Fans begleiten die Hamburger, der supportorientierte Kern hat sich auf dem Oberrang eingerichtet und beherrscht von dort aus die Akustik im offiziell „auserkauften“ Stadion. Die Mitmach- und Durchhaltequote oben ist beachtlich, den Unterrang kann ich nicht erkennen. Entgegen weit verbreiteten Vorurteilen wird nicht alle fünf Minuten die Internationale angestimmt (und ich hatte vorher extra nochmal die erste Strophe geübt, sogar in Russisch und Italienisch), es kommt stattdessen ein sehr vielfältiges Liedgut zur Lobpreisung des eigenen Fußballvereins zum Einsatz, koordiniert von drei „Capos“ und hin und wieder mal unterbrochen von vertonter Bullen-Liebeslyrik. Es gibt aber auch Phasen, da erinnert mich der Dauergesang ein wenig an den vor Jahren in „11 Freunde“ beschriebenen Staubsauger im Nebenzimmer. Richtig stark und laut wird es immer dann, wenn auf Spielsituationen reagiert wird – wirklich grandios ist hier die Begleitung der fünfminütigen Nachspielzeit, während der St. Pauli fast ununterbrochen in Ballbesitz bleibt.

Der heimische Supporterblock kann sich gegen den geschlossenen Gästesupport nur selten Gehör verschaffen, auch wenn von weitem eine ganz ordentlich Beteiligung zu erkennen ist. Auf den übrigen Tribünen sieht es jedoch meistens so aus, als wären die Leute kurz mal von den nebenan stattfinden „Leipzig Open“ im Tennis herübergekommen. Übrigens, dass es im Zentralstadion eine Fahne mit der Aufschrift „Skatstadt BULLEN“ gibt, fasse ich als persönliche Beleidigung auf. So!

Nach dem Schlusspfiff gibt es kurzen gemeinsamen Jubel mit der siegreichen Mannschaft, auch Ewald darf sich noch einmal feiern lassen, dann geht ein interessanter Nachmittag zu Ende. Beim Verlassen des Stadions schweift ein letzter Blick zur Polizeihundertschaft am Gästeeingang, die mit der Müdigkeit zu kämpfen hat, dann kehre ich heim in den Schoß der Familie. Noch dreimal schlafen, dann ist endlich wieder Hansa.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..