Hanseator

Musik & Fußball

„Spiel“ ohne Grenzen?

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F.C. Hansa Rostock – FC St. Pauli 3:0, 26. September 2008, 2. Liga, 6. Spieltag

Endlich ist es vorbei und alle können sich wieder auf Fußball konzentrieren.

Ist es so? Schön wär’s.

Schauen wir in die noch nicht ganz so ferne Vergangenheit zurück. Am letzten Spieltag der Saison 2009/10 trat der FC Hansa in Düsseldorf an. Das Spiel endete mit einer 1:3-Niederlage, die Begegnung wurde überschattet von schweren Ausschreitungen im Gästeblock, insbesondere wegen des wiederholten Abfeuerns von Leuchtraketen in Richtung anderer Blöcke und auf den Platz sowie des Zündens von Böllern wurde das Spiel gleich zu Beginn für mehrere Minuten unterbrochen und auch am Ende vorzeitig abgepfiffen.

In meinem Bericht auf hansafans.de schrieb ich damals unter anderem:

Ich kann mir momentan nur schwer vorstellen, dass unsere Fanszene aus eigener Kraft in der Lage ist, aus dieser Situation herauszukommen. Den „Aktiven“ scheint die Kontrolle im Block mehr und mehr zu entgleiten, es wurde eine Entwicklung losgetreten, die wohl nicht mehr beherrscht wird. („Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht mehr los.“)

Inzwischen wird deutlich: Die Kontrolle innerhalb der „aktiven Fanszene“ scheint nicht zu entgleiten, sie ist, wenn es sie überhaupt je gegeben hat, entglitten oder aber liegt in den Händen von Geistesgestörten. Das Kind liegt im Brunnen. Die Entwicklung ist über die Jahre völlig aus dem Ruder gelaufen und gipfelt mittlerweile regelmäßig in Vorfällen wie zuletzt wieder rund um das Spiel gegen den FC St. Pauli.

Was haben sich alle auf die Zweitligasaison gefreut, mit packenden, emotionalen Spielen gegen alte sportliche Rivalen, mit Traditionsvereinen und starken Fanszenen wie Eintracht Frankfurt, Dynamo Dresden, Union Berlin und – ja, auch die – St. Pauli. Natürlich war kaum jemand so blauäugig zu glauben, dass all diese Spiele völlig ohne unerwünschte Begleiterscheinungen über die Bühne gehen könnten, aber ein kleines bisschen Hoffnung auf menschliche Vernunft und ein Minimum sozialer Verhaltensweisen musste doch erlaubt sein. Aber schon Goethe wusste: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“

Es geht mir hier nicht um ein paar Bananen, die Idee als Reaktion auf das Vor-Spiel-Geplänkel mit dem berühmten Titanic-Titelbild von „Zonen-Gabi“ und ihrer Gurke war sogar ziemlich originell. Ein kurzer Bananenregen zu Beginn wäre als witzig durchgegangen, trotz oder vielleicht sogar wegen des großen Wehklagens der P.C.-Fraktion über „Missbrauch von Lebensmitteln“. Es geht auch nicht um ein paar brennende Schals, man muss das nicht gutheißen, aber eine Rostocker Erfindung ist auch das beileibe nicht. Aber wenn praktisch über das ganze Spiel verteilt immer wieder Bananen fliegen und fast durchgängig Schals und Shirts brennen, beweist das nur, dass jedes Maß völlig verloren gegangen ist.

Das gezielte Abfeuern von Signalraketen mitten in eine dicht gedrängt stehende Menschenmenge hinein, begleitet von zustimmendem Gejohle und begeistertem Applaus einer sichtbaren Mehrheit des Publikums, setzt allem die Krone auf. Natürlich verbietet sich die Gleichsetzung mit unrühmlichen Rostocker Ereignissen der 90er Jahre, vergleichen darf und muss man die Verhaltensmuster der Beteiligten durchaus. Dabei tun sich erschreckende Parallelen auf, die niemandem, dem das Wohlergehen und Ansehen des FC Hansa wie auch der Stadt Rostock etwas bedeuten, gleichgültig sein dürfen.

Spiele des FC Hansa Rostock werden inzwischen fast immer als Risikospiele deklariert, auswärts sowieso, aber zunehmend auch im heimischen Ostseestadion. Die Freude auf packende sportliche Duelle auf dem Rasen und lautstarke Gesangsduelle auf den Rängen ist längst verdrängt worden von einer alles überlagernden Feindseligkeit – wir lassen uns das Hassen nicht verbieten. Eine noch vor wenigen Jahren für ihre Kreativität und lautstarke Vielfalt weithin geschätzte Fanszene zerfrisst sich Woche für Woche in erstarrten Hass-Ritualen nach vorhersehbarem Ablauf, die den Fußballsport zur Nebensache machen. Kritische Geister, die der schleichenden Gleichschaltung im Wege standen, wurden unter dem scheinheiligen Motto „Keine Politik im Stadion“ gnadenlos ausgegrenzt und brutal vertrieben.

Wenn es dann gekracht hat, sind meist schnell „Probleme der Gesellschaft“ als Ursache zur Hand, wie ja auch das Publikum ein angebliches Spiegelbild der Gesellschaft ist. Wenn damit eine schlechte Kinderstube oder die Unfähigkeit, elementare Regeln des menschlichen Zusammenlebens zu befolgen, gemeint ist, lässt sich das wohl nicht abstreiten. In der Regel war aber die öffentliche Entrüstung auch in weiten Teilen des eigenen Lagers groß – zuletzt erst nach dem Spiel bei Eintracht Frankfurt. Wenn es gegen St. Pauli geht, ist dann aber plötzlich alles akzeptabel, oder warum sonst applaudieren gefühlte 80 % des als „normal“ geltenden Tribünenpublikums bei jedem erfolgreichen Einschlag eines Geschosses?

Man muss den FC St. Pauli nicht mögen, man muss sich nicht mit seinen Anhängern abgeben, wenn man deren Ansichten und ihre Art, Fußball zu (er)leben, oder die ihnen exklusiv nachgesagte „Politisierung“ des Sports nicht teilt. Es steht jedem frei, sie dafür zu verachten und ihnen alles Schlechte zu wünschen, Aktionen wie am letzten Wochenende lassen sich damit aber nicht erklären oder gar rechtfertigen.

Wie soll es nun weiter gehen? Auf den FC Hansa kommen schwere Sanktionen zu, das dürfte klar sein. Wahrscheinlich ist es, um noch größeren Schaden abzuwenden, das Vernünftigste, beim Rückspiel auf das Gästekartenkontingent zu verzichten. Wenn es für sie gut läuft, steigen die Hamburger nach der Saison wieder auf, wenn es für uns schlecht läuft, müssen wir wieder in die 3. Liga, beide Optionen hätten den kleinsten gemeinsamen Nenner, dass zunächst erst mal keine weiteren Spiele gegeneinander stattfänden, momentan wäre wohl niemand wirklich traurig darüber. Aber das kann es doch auf Dauer auch nicht sein.

Vielleicht ist selbst zwischen so gegensätzlichen „Welten“ ja auch so eine Art friedliche Koexistenz möglich, wie sie in den 80er Jahren zwischen Ost und West praktiziert wurde, nur ohne gleichzeitiges Wettrüsten? Das müsste doch zu machen sein, es ist und bleibt doch am Ende ein SPIEL!

P.S.

Ich habe bewusst alle etwaigen „Ultra-Gesichtspunkte“, die bei der Bewertung der Vorfälle sicher auch noch zu berücksichtigen sind, ausgeklammert. Ich bin selbst kein Teil dieser jugendlichen Subkultur, obwohl ich durchaus gewisse Sympathien für viele ihrer Erscheinungsformen hege. Ich bin nicht nah genug dran, um die „Gesetze“ dieser Bewegung – geschriebene wie ungeschriebene – zu kennen, und wahrscheinlich auch schon zu alt, um sie in ihrer Komplexität zu verstehen, vielleicht sogar verstehen zu wollen. Inwieweit die Rostocker Ultras mit ihrer Hauptgruppe Suptras den eigenen Idealen noch entsprechen oder was ihre Ideale noch mit dem ursprünglichen Ultra-Gedanken zu tun haben, muss die Szene selbst beantworten.

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